Bipolar Sphere
Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Lisa Weber und Markus Walenzyk im
Nassauischen Kunstverein Wiesbaden am 23.8.2013
Sehr geehrte Damen und Herren, auch ich darf Sie noch einmal herzlich begrüßen zur Eröffnung dieser schönen Ausstellung hier im NKV in Wiesbaden. Für Lisa Weber und Markus Walenzyk markiert diese Ausstellung den erfolgreichen Abschluss ihres Studiums an der Kunsthochschule Mainz. Ich freue mich, dass ich zu diesem feierlichen Anlass einige einführende Worte sagen darf. Zunächst einmal stellt sich die Frage, was diese beiden sehr eigenständigen künstlerischen Positionen miteinander zu schaffen haben. Im Titel der Ausstellung ist der Begriff "bipolar" zu finden, was zunächst auf Gegensätzliches hindeutet und tatsächlich finden sich auf den ersten Blick kaum konkrete thematische Verbindungen. Aber vielleicht müssen wir uns dieses "Bipolare" als zwei in verschiedene Richtungen strebende Impulse vorstellen, die von einem gemeinsamen Zentrum ausgehen. Ich entdecke nämlich vor den Werken beider Künstler, dass es hier um eine Grundkonstellation geht, die uns alle betrifft, nämlich um den stetigen Versuch, das Selbst und die Außenwelt miteinander in Beziehung zu setzen. Wir wissen, dass die Grenzen zwischen Innen und Außen nicht klar gezogen sind, aber wir arbeiten doch ständig daran, einerseits von außen auf uns einströmende Eindrücke und Informationen mit eigenen Befindlichkeiten abzugleichen und uns andererseits in ‚der Welt da draußen' bemerkbar zu machen.
Lisa Weber beschäftigt sich in ihren neuen Arbeiten mit dem Wetter als zeitstrukturierendem Element und Empfindungskorrelat. Die Beobachtung, Deutung und Vorhersage meteorologischer Phänomene ist von jeher für den Menschen von lebensnotwendiger Bedeutung. Gleichwohl, es geht längst nicht mehr nur darum, etwa die Ernte zu sichern – Wetter gehört zu den subtilen Obsessionen unserer Gesellschaft. Die aktuelle Wetterlage wird unablässig thematisiert, ebenso tauscht man sich über entsprechende Wetterfühligkeiten und die dazu passenden Tätigkeiten aus, die stets von einem genau abgestimmten Konsumangebot begleitet werden. "Der Sommer" war in diesem Jahr sicher häufiger Thema als die anstehende Bundestagswahl. Mit dem zunehmenden Wissen um den vom Menschen beeinflussten Klimawandel hat sich auch unser Umgang mit Wetter verändert. Klima ist global, es erfordert aufwändige Messungen und es lässt sich vom Standpunkt eines einzelnen Menschen aus nicht in seiner Komplexität empirisch erfassen – vielleicht ist auch das ein Grund, warum wir der althergebrachten, aufs Lokale bezogenen Wettervorhersage, dem erwartbaren Eintreffen eines Schauers in Mainz-Kostheim um 16 Uhr, geradezu nostalgische Gefühle entgegenbringen. Das führt uns direkt zu einer Videoinstallation, die Sie im Gewölbe des Treppenhauses beim Betreten vielleicht schon gesehen haben. Wie bei einem Newsticker laufen hier Wettermeldungen an uns vorbei – die knappen Formulierungen zeigen das Wetter eines bestimmten Tages in den Hauptstädten der Welt an. Diese in sprachlicher Form präsentierte globale Wetterkarte widerstrebt genau jenem auf die individuelle, alltägliche Erfahrung fokussierten Umgang mit Wetter – was etwa für mich in Berlin ein besonders schöner Herbsttag war, firmiert hier vielleicht unter der schlichten Bezeichnung "mostly cloudy" und geht noch dazu unter in einer Masse divergierender Wetterformen – vielleicht hat gleichzeitig in Hongkong ein Unwetter gewütet? Mit den Mitteln der digitalen Medien lotet Lisa Weber in dieser Arbeit die Aussagekraft standardisierter Wetterbeschreibung aus – doch erst in der Verschaltung mit den anderen Werken wird deutlich, wie sie zugleich die subjektive und an den einmaligen Moment gebundene sinnliche Wahrnehmung von Himmelserscheinungen sowie deren Stimmungspotential in den Mittelpunkt rückt. Ich möchte als ein Beispiel die filmische Arbeit ansprechen. Sie zeigt ein Wolkenknäuel, das geradezu zu explodieren scheint – die Energie, mit der die fluffige weiße Masse anschwillt, überträgt sich auf den Betrachter. Dass die Künstlerin hier ein wenig manipuliert, indem sie das Phänomen im Zeitraffer zeigt, ist letztlich unerheblich, denn das Ergebnis trifft genau unsere Faszination für die Formenvielfalt und ständige Veränderlichkeit der Wolken. Lisa Weber lässt sich damit durchaus in die Tradition der Wolkenstudien eines John Constable stellen, jenem eigenwilligen Erneuerer der Landschaftsmalerei um 1800. Constable sprach dem Himmel mitsamt seinen Wolkenforma- tionen für die Malerei die Rolle des "chief organ of sentiment" zu und forderte zugleich für seine Landschaftsbilder den Status naturwissen-schaftlicher Experimente ein. Auch Lisa Webers Werke zeichnen sich für mich vor allem dadurch aus, dass sie ein Miteinander von empirischer Beobachtung und subjektiver Empfindung, ja von einer gewissen Nüchternheit und doch bemerkenswerter Schönheit ins Recht setzen.
Wo Lisa Weber Modi des Beobachtens und des Abstimmens auf vermeintlich außerhalb des Selbst liegende Phänomene fokussiert, vermitteln Markus Walenzyks Arbeiten den Drang des Subjekts, sich zu äußern, Spuren zu hinterlassen und auszutesten, inwiefern seinem Handlungs- und Selbstdarstellungswillen äußere Grenzen gesetzt sind. Die Videoarbeit "Faceprint" zeigt den Künstler, wie er im Abklatschverfahren einhundert Bilder seines eigenen Gesichts anfertigt. Aus der vitalen Geste wird in der Wiederholung ein beinahe maschinell anmutender Vorgang, der geradezu an das Klischee eines unablässig stempelnden Beamten denken lässt. Die Signifikanz und Charakteristik, die man dem einzelnen Porträt, zumal dem Selbstporträt des Künstlers, klassischerweise zuschreibt, wird preisgegeben, wo das Gesichtsbild Massenware wird. Wenn das Bildnis als Produkt eines standardisierten Herstellungsprozesses erkennbar wird, lassen wir es eigentlich schwerlich als authentisches, wahrhaftiges Bildnis eines Individuums gelten. Auch inwiefern hier etwas Inneres im Bild zum Ausdruck kommt, erscheint uns fraglich. Angegriffen, beschädigt, ja gerade zu tot wirken diese Bilder des menschlichen Gesichts. Aber Walenzyk verarbeitet die Abdrücke weiter, er haucht ihnen mit medialen Kniffen neues Leben ein, sodass sie uns schließlich doch als flirrendes, veränderliches Bildnis eines Subjekts gegenüberstehen. In den meisten Arbeiten Walenzyks steht das Gesicht im Mittelpunkt – also der Teil unseres Körpers, mit dem wir maßgeblich kommunizieren und uns präsentieren, das wir aber auch selbst verzerren, verändern und maskieren. Wir sehen zum Beispiel die Arbeit "Odem", in der der Künstler seinen Kopf in für den Betrachter fast beklemmender Weise verpackt und verhüllt und mit ganzem Einsatz zu spielen scheint. Gesteigert wird dieser Körpereinsatz noch in einer Videoarbeit, die nicht in dieser Ausstellung gezeigt ist, und den ganzen, nackten Körper darbietet. Sie trägt den Titel "Akt, eine Treppe herunterfallend" und ich muss wohl kaum entschlüsseln, dass hier Duchamps berühmtes Gemälde "Akt, eine Treppe herabsteigend" (1912) zitiert wird. Aber, wo Duchamp mit malerischen, kompositorischen Mitteln Bewegung im Bild darzustellen versuchte, kann Walenzyk ganz umkompliziert auf das Medium Film zurückgreifen. Die Annäherung an den Großen der Avantgarde – man weiß nicht, ist es Hommage über Überbietungsversuch? – gerät trotzdem zu einer verstolperten, wenig anmutigen Version. Ich möchte es mal ein artistisches Duchamp-Harakiri nennen. Wieder blitzt da ein Moment des Scheiterns auf und wirkt seltsamerweise ebenso inszeniert wie unfreiwillig. Der Einsatz des nackten Körpers in der Kunst, gerade in Performance und Video, erzählt meist auch etwas über Verwundbarkeit und Selbstoffenbarung. Bei Markus Walenzyk schwingt dies mit und wird doch ironisch gebrochen. Ähnlich wie Lisa Webers Werke wahren auch seine Arbeiten mit ihrer formalen Strenge eine angenehme Distanz – und spielen damit auf sehr zeitgenössische Art und Weise den Ball sozusagen über Bande an den Betrachter zurück. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und gratuliere Lisa und Markus zu dieser sehr gelungenen Ausstellung.
Manuskript von Clara Wörsdörfer, August 2013